Rechter Angriff auf den Roten Stern Leipzig

Textmarker-Striche

Zusammenfassung

Am 24. Oktober 2009 überfallen 50 organisierte Neonazis die Spieler und Fans von Roter Stern Leipzig '99 e.V. (RSL) bei einem Amateurfußballspiel der damaligen Bezirksklasse in der sächsischen Kleinstadt Brandis. Mehrere Menschen werden verletzt, einige von ihnen schwer. Dem Tag selbst folgt eine jahrelange Aufarbeitung des Angriffs. Ein Ringen um die Anerkennung des Überfalls als politische Tat beginnt und ein Justizmarathon nimmt seinen Lauf. Der Überfall von Brandis hat tiefe Spuren im Verein hinterlassen und steht sinnbildlich für mitunter gewaltsame Anfeindungen, die einem antifaschistisch eingestellten Sportverein und seinen Anhänger:innen widerfahren.

Wann 24. Oktober 2009
Wo Brandis
Wer Roter Stern Leipzig
Was Rechter Angriff auf Fans und Spieler

Vereinsvorstellung

Der Verein hätte sich nicht gegründet, wenn es nicht dieses Viertel hier geben würde.
Micha

Der RSL begreift sich als ein antifaschistisches Sportprojekt mit dem Ziel, verschiedene Sportarten in einem diskriminierungsarmen Umfeld anzubieten. Einem basisdemokratischen Ansatz folgend, haben alle Mitglieder die Möglichkeit, an Entwicklungen und Entscheidungsprozessen teilzuhaben. 

Die Ursprünge des Vereins liegen im Leipziger Stadtteil Connewitz, der in den 1990er-Jahren durch verschiedene Hausbesetzungen eine alternative Prägung erlebt, die bis heute anhält. Im dortigen Jugend-Kulturzentrum Conne Island gründen am 1. Februar 1999 etwa 20 Jugendliche ihren eigenen Sportverein: Roter Stern Leipzig '99 e.V.

Loading Slides...

Neben der Teilnahme von Herren- und Frauenteams im Spielbetrieb des Amateurfußballs, werden in der Folge Fußballteams für Kinder sowie Sektionen in weiteren Sportarten gegründet. Während die Gründungsjahre des Vereins vom Do-it-yourself-Prinzip geprägt sind, ist der RSL inzwischen zu einem der größten Leipziger Sportvereine gewachsen, in dem knapp 1800 Mitglieder organisiert sind.

Vorlauf

Das war dann so ein Vorgeschmack. Wie soll das weitergehen?
Mike*

In den ersten zehn Jahren des Bestehens spielen die Teams des RSL aufgrund ihrer Ligenzugehörigkeit vorwiegend im städtischen Bereich. Das erste Herrenteam des RSL steigt Anfang der 2000er-Jahre mehrmals auf, bevor es in den Jahren von 2002 bis 2009 seinen Platz in der achtklassigen Leipziger Stadtliga findet. Diese Zeit gilt vielen als eine unbeschwerte, in der im Verein „Punkrock“ gelebt und vieles auf und neben dem Platz ausprobiert wird. Lesungen und Konzerte werden veranstaltet, Partys organisiert und politische Demonstrationen unterstützt.

Loading Slides...

Die antifaschistische Ausrichtung des Vereins und die klare Absage an Neonazismus im Fußball und in der Gesellschaft lassen den RSL seit seinem Bestehen wiederholt zum Ziel von Angriffen werden. So überfallen im Mai 2002 stadtbekannte Neonazis die Spieler und Fans des RSL bei einem Spiel im Leipziger Stadtteil Lützschena-Stahmeln und im Jahr 2008 wird ein Brandanschlag auf das RSL-Vereinsheim Fischladen in Connewitz verübt. Diese Angriffe vollziehen sich vor dem Hintergrund des zweimaligen Einzugs der NPD in den sächsischen Landtag (2004 und 2009) und der damit verbundenen Eröffnung eines NPD-Zentrums in der Leipziger Odermannstraße im Jahr 2008. In der Stadt Leipzig sowie in den umliegenden Regionen existiert zudem eine subkulturell geprägte Neonaziszene, in deren Erlebniswelt Musik und Sport wichtige Komponenten bilden.

Loading Slides...

Mit den Siegen des Herren- und des Frauenteams im Leipziger Stadtpokal und dem im selben Jahr erreichten Aufstieg des ersten Herrenteams in die Bezirksklasse, feiert der RSL im Jahr 2009 sein sportlich bis dahin erfolgreichstes Jahr. Mit dem Aufstieg gehen vermehrt Spiele außerhalb der Stadtgrenzen einher. 

Loading Slides...

Die Spiele in der Bezirksklasse bringen für den RSL und seine Fans einige Veränderungen mit sich. Die gegnerischen Teams sind besser, die Anfahrtswege länger und die Anfeindungen nehmen zu. Während der RSL in der Stadt Leipzig zunehmend etabliert ist, sind die Fahrten in die Landkreise Leipzig und Nordsachsen eine Neuheit. Bereits beim ersten Auswärtsspiel in Oschatz kommt es laut einem Spielbericht auf der Fan-Homepage des RSL "zu Handgreiflichkeiten auf den Rängen, nachdem ein Oschatzer den Hitlergruß gezeigt hatte" [1]. 

Der Angriff

Dann sind sie irgendwann losgelaufen. Und dann fing das ganze Drama in Brandis an.
Moishe*

In die Freude über den Aufstieg und Touren mit dem Fanbus in umliegende Städte, mischt sich zunehmend die Sorge vor möglichen Angriffen. Vor dem Auswärtsspiel in Brandis kursieren Gerüchte über eine geplante Aktion von Neonazis. Laut späteren Presseberichten hat auch der gastgebende Verein FSV 1921 Brandis e.V. Kenntnis von diesen Ankündigungen und informiert die Polizei. Diese verzichtet jedoch auf eine Aufstockung der Einsatzkräfte und ist nach eigenen Angaben mit vier Beamt:innen vor Ort [2]. Der RSL versucht hingegen mit vielen Fans zu dem Spiel zu reisen, um sich vor potentiellen Angreifer:innen zu schützen.

Das Spiel findet, wie geplant, am Samstag den 24. Oktober 2009 auf dem Brandiser Sportplatz Freundschaft statt. Vor Anpfiff der Partie wird laut Zeug:innen eine Stadiondurchsage an die RSL-Fans gerichtet. Mit der Begründung, dass "die Dummen noch kommen", werden sie darum gebeten, eine Seite des Sportplatzes zu räumen [3]. Kurz darauf sammeln sich um die 50 Neonazis auf dem Gelände und laufen, bewaffnet mit diversen Schlaginstrumenten, auf den Sportplatz. Das Spiel läuft zu diesem Zeitpunkt zwei Minuten. 

Unter Rufen wie "Scheiß Zecken" und "Scheiß Rote" stürmen die Neonazis in Richtung der Spieler und Fans des RSL. Dabei werfen sie Steine und Flaschen. Eine von ihnen ist mit einer brennbaren Flüssigkeit gefüllt. Die Angegriffenen reagieren unterschiedlich. Einige versuchen zu fliehen, manche verstecken sich, andere setzen sich zur Wehr. Es entwickelt sich eine unübersichtliche Situation, in der Neonazis Jagd auf Spieler und Fans des RSL machen. Einzelne Momente des Überfalls werden durch einen anwesenden Fotografen dokumentiert.

Loading Slides...

Die zum Teil mit Eisenstangen und Holzlatten bewaffneten Neonazis verletzen bei ihrem Angriff einige Personen erheblich. Die anwesende Polizei schreitet nicht ein. Zeug:innen berichten in der Folge, dass ein eingesetzter Ordner des FSV Brandis den Neonazis nicht nur ein Tor öffnet, sondern sich selbst unter die Angreifer mischt. Die Fans und Spieler des RSL sind der Situation unterdessen ausgeliefert. Sie versuchen die Angriffe abzuwehren, Verletzte zu versorgen und unter Schock stehende Personen zu unterstützen, bis die Angreifer den Sportplatz verlassen und flüchten. 

Unterstützende Polizeikräfte treffen erst nach etwa 30 Minuten am Sportplatz ein. Die Angreifer können ungehindert abziehen. Die Verletzten werden medizinisch erstversorgt und in umliegende Krankenhäuser gebracht, während sich die übrigen Personen zu sammeln versuchen, um die gemeinsame Abreise zu organisieren. Viele der Anwesenden sind physisch und psychisch versehrt. Noch am Abend veröffentlicht der RSL eine erste Pressemitteilung zu dem Überfall.

Loading Slides...

Die folgenden Tage stehen unter dem Eindruck des Angriffs. Neben der Unterstützung für die betroffenen Personen richten Aktive des Vereins ihre Aufmerksamkeit darauf, Öffentlichkeit herzustellen. Weitere Pressemitteilungen werden veröffentlicht und der Verein versucht sich an einer ersten Einordnung des Geschehenen.

Gespräch zum Angriff in Brandis am 29.10.2009 bei Radio Corax [4].

Nachgang

Es spielte dann immer der Gedanken mit, dass du auch Ziel eines Angriffs werden kannst.
Moishe*

Während der Überfall zunehmend eine bundesweite Aufmerksamkeit erlangt, suchen viele der Betroffenen nach einem Umgang mit dem Erlebten. In der Kabine, in Kneipen und bei Treffen des Vereins wird über den Angriff gesprochen, doch die Aufarbeitung gestaltet sich für die Betroffenen mitunter schwierig. Micha, der am schwersten verletzt ist, liegt währenddessen über Wochen im Leipziger Universitätsklinikum und muss mehrfach operiert werden.

Loading Slides...

Die Erlebnisse vom 24. Oktober in Brandis wirken bei Spielern und Fans des RSL nach. Die Euphorie, mit welcher der Verein in die neue Spielklasse startete, ist verschwunden. Die einstmalige Freizeitbeschäftigung wird in den Wochen nach dem Angriff zur Nebensache, für einige gar zu Belastung. Die Auseinandersetzung mit dem Geschehenen löst jedoch auch Diskussionen und Entwicklungen aus, die den Verein bis in die Gegenwart beeinflussen.

Mehr zu

Solidarität und Empowerment

Mehr zu

Täter-Opfer-Umkehr

Pressearbeit

Dann ist durch den Verein natürlich massive Pressearbeit geleistet worden.
Doreen

Das Presseecho auf den Überfall ist enorm. Die LVZ schreibt zunächst von "Ausschreitungen bei einem Fußballspiel" und tituliert den Angriff als "brutale Randale zwischen Nazis und Fans der Connewitzer Gastmannschaft" [10].

Loading Slides...

In einem Bericht des Spiegel werden die Ereignisse in Brandis hingegen bereits am 25. Oktober als "Überfall rechtsextremer Schläger" benannt [11]. Dieser Artikel sowie ein später ausgestrahlter Beitrag von SpiegelTV sind maßgeblich für die weitere mediale Auseinandersetzung und tragen zu einer bundesweiten Wahrnehmung des Überfalls bei. Auch das Bildmaterial, das ein anwesender Fotograf während des Überfalls anfertigt, ist von großer Bedeutung. Es belegt den Angriff der Neonazis, ermöglicht eine Identifizierung der Täter und kann Versuchen der Täter-Opfer-Umkehr entgegengehalten werden.

Ein Beitrag von SpiegelTV 01.11.2009 zum Angriff in Brandis.

Für den RSL stellt diese Form des medialen Interesses ein Novum dar. Eine professionelle Struktur für Öffentlichkeitsarbeit existiert nicht. So finden sich Einzelpersonen zusammen, die versuchen, die Anfragen zu beantworten, eigene Statements zu verfassen und dafür zu arbeiten, dass das entstandene öffentliche Interesse nicht erlischt. Dies gelingt zunächst in eindrucksvoller Weise. Ein Pressespiegel auf der Homepage von RSL-Fans listet knapp 90 Online-Artikel auf, darunter Berichte von Zeitungen aus Österreich, der Schweiz und Türkei. Auch die Lokalpresse berichtet in der Folge ausführlich über den Angriff, die zu Tage tretenden Netzwerke der Angreifer und die Jahre andauernden Gerichtsprozesse.

Juristische Aufarbeitung

Und es hörte irgendwie nicht auf. Es war so ein Marathon.
Micha

In der Folge des Angriffs und der Bekanntmachung diverser Täter durch antifaschistische Recherchen und die Ermittlungsbehörden kommt es zur juristischen Auseinandersetzung mit dem Überfall in Brandis. Der erste Prozess findet am 25.2.2010 am Amtsgericht Leipzig statt und endet mit einer Verurteilung des Täters zu einer Strafe von zwei Jahren und zwei Monaten ohne Bewährung. Dieses Urteil ist von großer Bedeutung, da es als Referenzpunkt künftiger Verfahren dient. Es schließt sich ein Justizmarathon an, der bis in das Jahr 2012 reicht und diverse Prozesse mit rund 50 Angeklagten umfasst. Ihnen wird unter anderem gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Einige der Betroffenen sind in dem Verfahren durch eine anwaltliche Nebenklage vertreten. Von zentraler Bedeutung für das Gelingen der Verfahren ist die Bereitschaft von Betroffenen, vor Gericht gegen die Täter auszusagen.

Loading Slides...

Nachdem zunächst teils empfindliche Haftstrafen ausgesprochen werden, zeigt sich an den Gerichten in Leipzig und Grimma in der Folge ein Muster: Die Beweisaufnahme wird verschlankt und sofern die Angeklagten ihre Beteiligung an dem Überfall gestehen, werden sie lediglich zu Bewährungsstrafen verurteilt. Auf diesen "Deal" lassen sich die meisten Angeklagten ein und vermeiden so eine härtere Strafe.

Loading Slides...

Für die geladenen Zeug:innen führt dieser Umstand dazu, dass sie wiederholt zu Gerichtsprozessen fahren müssen, im Verfahren selbst aber gar nicht gehört werden. Sofern es zu Aussagen von Zeug:innen kommt, müssen diese wieder und wieder vom Erlebten berichten: ein auf Dauer zermürbender Zustand. Hinzu kommt, dass die anfängliche Präsenz von Unterstützer:innen bei den Gerichtsterminen im Laufe der Jahre spürbar abnimmt. Vereinzelt werden auch die angeklagten Täter von weiteren Neonazis beim Prozess begleitet und treffen im Zuschauer:innenraum auf Betroffene des Überfalls.

Kein Einzelfall

Danach kamen einfach unglaublich viele Auswärtsspiele, die richtig beschissen waren.
Charlie*

Ein derart drastischer Angriff wie in Brandis wiederholt sich im Verlauf der Saison und in den folgenden Jahren nicht. Die Präsenz von Neonazis bei Auswärtsspielen des Roten Sterns ist jedoch ein wiederkehrendes Problem. Deutlich wird dies bei einem Spiel gegen den SV Mügeln-Ablaß im April 2010. Erneut erscheinen an die 50 Neonazis. Gemeinsam mit anwesenden Zuschauer:innen stimmen diese das holocaustverherrlichende sogenannte "U-Bahn-Lied" an. In diesem wird gefordert, Gegner:innen in das NS-Vernichtungslager Auschwitz zu verbringen. Darüber hinaus kommt es zu antisemitischen Sprechchören [12]. Unterbunden werden diese Gesänge nicht. Stattdessen kommt es in der ersten Halbzeit zu einem Polizeieinsatz gegen die Anhänger:innen des Roten Sterns, in dessen Folge RSL-Fans Anzeige erstatten. In der 80. Minute weigern sich die Spieler des RSL endgültig, unter den antisemitischen Schmähungen zu spielen und der Schiedsrichter bricht das Spiel ab. Der Stadionsprecher bezeichnet den RSL daraufhin als "feige" und der damalige Mügelner Bürgermeister, der bereits einige Jahre zuvor eine rassistische Hetzjagd im Ort verharmloste, gibt an, keine "Nazi-Sprüche" gehört zu haben, solange er beim Spiel war [13]. Sachsens damaliger Innenminister Markus Ulbig (CDU) spricht im Nachgang des Spiels davon, dass "der Fußball von gewaltbereiten Extremisten genutzt wird" [14].

Im Nachgang des Spiels ziehen die etwa 50 Neonazis in das Stadtzentrum von Mügeln, singen laut Zeug:innen das "Horst-Wessel-Lied" und entrollen Transparente gegen das lokale Demokratieprojekt "Vive le Courage" [15].

Loading Slides...

Nur drei Wochen später, am 12. Mai 2010, tritt erneut eine Gruppe von circa 60 Neonazis bei einem Spiel des RSL in Erscheinung. In Schildau versammeln sie sich hinter einem Banner der örtlichen Neonazikameradschaft Schildauer Jungs. Zuvor haben sie sich auf dem Marktplatz getroffen und werden von der Polizei zum Sportplatz geleitet. Im Stadion skandieren sie "Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen" [16]. Trotz einer Einsatzhundertschaft, die anwesend ist, versuchen die Neonazis nach Abpfiff die Polizeiketten zu durchbrechen und die Spieler und Fans des RSL anzugreifen.

Die Strukturen, in denen die wiederholt auftretenden Neonazis organisiert sind, werden durch antifaschistische Recherchen und die Ermittlungsverfahren im Zuge des Überfalls von Brandis ans Licht der Öffentlichkeit gebracht. Die Täter entstammen dabei vor allem regionalen, aktivistischen Neonazi-Kameradschaften, haben in einigen Fällen Verbindungen in das "Free Fight"-Milieu oder gehören der Hooliganszene vom 1. FC Lokomotive Leipzig an. Insbesondere das Muldental und die dort aktive Neonazi-Gruppierung Terror Crew Muldental (TCM) gerät im Zuge des Überfalls von Brandis in den Fokus, da viele der Täter dort ihren Wohnsitz haben. Wie der Angriff geplant wurde, bleibt unklar. In einem Recherche-Artikel wird jedoch ein RechtsRock-Konzert in der Nähe von Wurzen aufgedeckt, auf dem viele der Täter bereits im August 2009 zusammenkamen. Dazu heißt es: "Das Konzert in Lüptitz scheint einer der Orte zu sein, an denen sich die Mischszene konstituiert hat aus deren Reihen die Schläger von Brandis kamen" [17]. Gegen die TCM wird in der Folge, auch aufgrund diverser anderer Straftaten, ein Ermittlungsverfahren wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung angestrengt. Auch Razzien werden durchgeführt. Schlussendlich wird das Verfahren jedoch eingestellt [18].

Mehr zu

Umgang mit Behörden

Gegenwart und Zukunft

Roter Stern ist ein super cooles Projekt nach wie vor, aber gleichzeitig ist er halt sehr professionell geworden.
Mike*

Eine derartige Ballung von Anfeindungen und Angriffen wie in der ersten Bezirksklassensaison 2009/2010 ist der RSL in den folgenden Jahren nicht ausgesetzt. Immer wieder kommt es jedoch zu Vorfällen bei einzelnen Spielen. So wird etwa ein Auto mit RSL Anhänger:innen nach einem Gastspiel in Schildau 2017 angegriffen [19]. Ein Jahre zuvor, im Januar 2016, verabreden sich über 200 militante Neonazis und Hooligans zu einem Angriff auf den Stadtteil Connewitz. Die Wolfgang-Heinze-Straße, in der auch das Vereinslokal des RSL liegt, wird verwüstet, Personen tätlich angegriffen und ein Sprengkörper in einen Imbiss geworfen. Nach der Tat stellt sich heraus, dass sich auch diverse Amateurfußballer aus Teams, gegen die der RSL antritt, an dem Überfall beteiligten. Am Ende der Spielzeit 2016/2017 wendet sich der Verein daraufhin mit einem offenen Brief an den Sächsischen Fußballverband (SFV).

Gespräch mit Jens Frohburg zur Saison 2016/17 und dem Offenen Brief vom RSL bei Radio Corax [20].

Loading Slides...

In den 15 Jahren, die seit dem Überfall in Brandis vergangen sind, haben sich die gesellschaftlichen Diskurse und Rahmenbedingungen verändert und gleiches gilt auch für den Roten Stern selbst. Insbesondere seit Ende der 2010er Jahre ist die Zahl der Aktiven rasant gestiegen und führte dazu, dass der RSL im Jahr 2024 einer der mitgliederstärksten Vereine der Stadt Leipzig ist. Rund 1900 Menschen sind in ihm organisiert, besonders der Kinder- und Jugendfußball ist deutlich gewachsen. Auch FLINTA*-Teams sind hinzugekommen und das Angebot von Sportarten ist deutlich diverser geworden [21]. Damit einher geht eine Professionalisierung von Sportanlagen, Strukturen und Handlungsweisen. Auch der Umgang und die Kooperation mit Vereinen, Verbänden und Behörden haben sich formalisiert. Obwohl die Entwicklung des Vereins seine Struktur und die Mitgliederschaft verändert, stellt die Erinnerung an den Überfall in Brandis einen wiederkehrenden Bezugspunkt im Verein dar. Anlässlich des zehnten Jahrestages des Angriffs wird 2019 eine Podiumsdiskussion organisiert und junge RSL-Fans widmen sich verschiedenen erinnerungskulturellen Projekten.

Loading Slides...

Den Überfall in Brandis 2009 im Gedächtnis zu halten und die Erinnerung an die Betroffenen und Verletzten dieses neonazistischen Angriffs wachzuhalten, bleibt wichtig. Darüber hinaus schafft die Erinnerung ein Bewusstsein dafür, was geschieht, wenn Neonazis gewähren können. Vor dem Hintergrund eines neuerlichen gesellschaftlichen Erstarkens der extremen Rechten, erscheint die Vergegenwärtigung dessen angebracht und notwendig.

Mehr zu

(Un)politischer Fußball

Quellenverzeichnis

[1] Roter Stern Leipzig Fans (2009): „Spielbericht FSV Oschatz vs. RSL Erste Herren 1:2“, abrufbar unter: RSL-Fans

[2] Der Spiegel (2009): „Fußballclub erhebt schwere Vorwürfe gegen Leipziger Polizei“, abrufbar unter: Der Spiegel 

[3] Chronik.LE (2009): „Brandis: Naziüberfall auf Fans und Spieler des Roten Stern Leipzig“, abrufbar unter: Chronik.LE 

[4] Radio Corax (2009): „Nach Brandis: Einschätzungen und Perspektiven“, abrufbar unter: Freie Radios 

[5] Leipziger Fußballforum (2009): „Ausschreitungen beim Spiel Brandis - Roter Stern Lpz“, abrufbar unter: Leipziger Fussballforum 

[6] Radio Corax (2009): „Skandalöse Sportgerichtsentscheidung“, abrufbar unter: Freie Radios 

[7] Der Spiegel (2010): „Ein fast normaler Fussballabend“, abrufbar unter: Der Spiegel

[8] Radio Corax (2010): „500 Menschen bei Demonstration in Brandis“, abrufbar unter: Freie Radios 

[9] Radio Corax (2010): „Brandis und die Menschlichkeit der braunen Provinz“, abrufbar unter: Freie Radios 

[10] Leipziger Volkszeitung (2009): "Schwere Ausschreitungen bei Fußballspiel", Leipziger Volkszeitung vom 26.10.2009.

[11] Der Spiegel (2009): „«Die Dummen kommen»“, abrufbar unter: Der Spiegel

[12] Endstation Rechts (2010): „Mügeln vs Roter Stern Leipzig: Spielabbruch wegen rassistischer Gesänge“, abrufbar unter: Endstation Rechts

[13] Die Tageszeitung (taz) (2010): „Die Hetzer von Mügeln“, abrufbar unter: taz

[14] Endstation Rechts (2010): „Mügeln vs Roter Stern Leipzig: Spielabbruch wegen rassistischer Gesänge“, abrufbar unter: Endstation Rechts

[15] Chronik.LE (2010): „«Überhaupt nichts los» in Mügeln“, abrufbar unter: Chronik.LE

[16] Chronik.LE (2010): „Roter-Stern-Gastspiel in Schildau: Polizei nimmt Neonazis fest“, abrufbar unter: Chronik.LE

[17] Antifaschistisches Infoblatt (2009): „Terror-Kreis Muldental“, abrufbar unter:  Antifaschistisches Infoblatt

[18] RBB Online (2011): „Rechtsextremismus: Ermittlungspanne bei Sachsens Verfassungsschutz“, abrufbar unter: RBB Online

[19] Leipziger Internet-Zeitung (2017): „Naziaktionen und ein Angriff in Schildau auf RSL“, abrufbar unter: Leipziger Internet-Zeitung

[20] Radio Corax (2017): „Antifaschismus wird auf sächsischen Fussballplätzen verhindert“, abrufbar unter: Freie Radios

[21] Das Akronym FLINTA* steht für "Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nonbinäre, transgeschlechtliche und agender Personen". Das Sternchen soll Raum für Personen symbolisieren, die sich keinem dieser Begriffe zuordnen, aber aufgrund ihrer sexuellen bzw. geschlechtlichen Identität von Marginalisierung betroffen sind.

[22] Facebook-Profil Edgar Naujok (2024): „Klarstellung zum Verhältnis von Sport und Politik“, abrufbar unter: Facebook

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert.